Der Landesverband informiert

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir hatten Sie bereits darüber informiert, dass das Bundesverfassungsgericht die in § 238 Abs. 1 AO verankerte monatliche 0,5 %-Verzinsung (6 % p. a.) sowohl von Steuernachforderungen als auch von Steuererstattungen für verfassungswidrig erklärt hat - soweit die Jahre ab 2014 betroffen sind. Gleichzeitig hat das oberste deutsche Gericht die rückwirkende Korrektur der Verzinsung aber nur für Verzinsungszeiträume ab 2019 angeordnet. Aufgrund dessen hat die Finanzverwaltung nun Mitte September ein Anwendungsschreiben veröffentlicht (Anlage), mit dem die beabsichtigte Umsetzung des Urteils erläutert wird.

1. Steuerrechtliche Folgerungen des BMF aus dem BVerfG-Urteil

Die im BMF-Schreiben enthaltenen wesentlichen Schlussfolgerungen aus dem Urteil des BVerfG können folgendermaßen zusammengefasst werden:

  • § 233a i. V. m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO ist als Folge des Verstoßes gegen Artikel 3 Abs. 1 GG unanwendbar (Anwendungssperre).
  • Gerichte und Verwaltungsbehörden dürfen diese Normen insoweit nicht mehr anwenden und diesbezüglich laufende Verfahren sind auszusetzen. Auch betragsmäßig „neue“ Nachzahlungs- und Erstattungszinsen dürfen nicht mehr auf der Grundlage des aktuellen § 233a i. V. m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO festgesetzt werden.
  • Dagegen genießen noch auf § 233a i. V. m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO basierende, aber unanfechtbare Zinsfestsetzungen trotz des BverfG-Urteils weiterhin Bestandskraft (vgl. § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Allerdings ist eine noch nicht vollzogene Vollstreckung aus einer solchen Entscheidung unzulässig (vgl. § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG).
  • Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis zum 31.07.2022 eine verfassungsgemäße Neuregelung für Verzinsungszeiträume ab 01.01.2019 zu treffen.

2. Konkrete Vorgehensweise der Finanzverwaltung in laufenden Verfahren

Auf Grundlage der vorstehenden Rechtsfolgen zieht die Finanzverwaltung in ihrem aktuellen BMF-Schreiben für die weitere Vorgehensweise folgende Schlüsse:

  • Noch offene Festsetzungen für Verzinsungszeiträume bis zum 31.12.2018 sind nun für endgültig zu erklären. Entsprechende Einsprüche für Verzinsungszeiträume bis zum 31.12.2018 werden von der Finanzverwaltung als unbegründet zurückgewiesen.
  • Neu zu erlassende Bescheide mit einer erstmaligen Festsetzung von Nachzahlungs- oder Erstattungszinsen werden in Bezug auf diese Zinsen vorläufig „auf null“ gesetzt. Sobald der Gesetzgeber dann eine Ersatzregelung für die Zinsen geschaffen hat, können diese in den so offen gehaltenen Fällen vom Finanzamt – ggf. rückwirkend – festgesetzt werden.
  • Vor der BVerfG-Entscheidung ergangene, aber nicht endgültige Bescheide behalten in Bezug auf ihre Zinsfestsetzungen den Status „vorläufig“ (= bis zur Neuregelung des Gesetzgebers) – dies unabhängig davon, ob die betreffenden Zinszahlungen geleistet, gestundet oder ausgesetzt worden sind. Sobald eine vom Gesetzgeber noch zu verabschiedende Ersatzregelung in Kraft getreten ist, werden die Finanzämter eine Änderung der Zinsfestsetzung in diesen Bescheiden von sich aus vornehmen.
  • Kommt es bei einer Änderung eines vor der BVerfG-Entscheidung ergangenen Bescheides zu einer (weiteren) Nachzahlung, wird das Finanzamt die diesbezüglichen (weiteren) Zinsen – wie bei den Neufestsetzungen (siehe oben) – vorläufig „auf null“ setzen. Kommt es zu einer Erstattung (Nachzahlungshöhe wird reduziert), werden die zu viel gezahlten Zinsen mit erstatten. Bis zur Ersatzregelung durch den Gesetzgeber bleiben also die Zinsen auf den gegenüber der bisherigen Festsetzung unveränderten Teil vorläufig.
  • Je nachdem, wie der Gesetzgeber sodann die Ersatzregelung ausgestaltet, werden die Finanzämter die Nachzahlungs- und Erstattungszinsen zu gegebener Zeit entsprechend neu festsetzen.

 

Mit freundlichen Grüßen

Viviane v. Aretin
Geschäftsführerin